Die Logistik ist Triebfeder der vierten industriellen Revolution. Per Flugzeug, Frachtschiff, LKW, Rikscha und Drohne – Frachtunternehmer müssen mit der rasanten Entwicklung der Branche Schritt halten. Gerade Deutsche sind mit spannenden Ideen Vorreiter.
Auf Deutschlands Straßen werden am meisten Güter befördert. 3.593 Millionen Tonnen allein 2016.
Ein normaler Fruchtjogurt aus einer Stuttgarter Molkerei: Die Erdbeeren stammen aus Polen, die Bakterienkultur aus Schleswig-Holstein und der Aluminiumdeckel aus dem Rheinland. Bis der Jogurt im Supermarktregal steht, fahren Lastwagen 9.115 Kilometer quer durch Europa. Das hat die Raumplanerin und Verkehrsexpertin Stefanie Böge im Rahmen einer aufwändigen Studie einmal sehr genau errechnet.
Und das ist nur ein Beispiel von vielen. Die Wege, die unsere Konsumgüter zurücklegen – ob Ananas aus Costa Rica oder Valentinsrosen aus Kenia –, werden von Jahr zu Jahr länger. Selbst eine gewöhnliche Nordseekrabbe kommt auf eine Transportbilanz von rund 6.000 Kilometern, wenn sie nach dem Pulen in Marokko auf dem Teller eines Fischlokals in Schleswig-Holstein landet.
„Aus ökologischer Sicht sind vor allem die immer kürzeren Lieferzeiten ein Problem, weil sie uns jegliches Optimierungspotenzial nehmen“, sagt Michael ten Hompel, Professor für Förder- und Lagerwesen an der Technischen Universität Dortmund und Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik. „Aber wir dürfen dabei auch nicht vergessen, dass die Logistikunternehmen keineswegs aus Selbstzweck handeln, sondern im Auftrag einer arbeitsteiligen Weltwirtschaft, die unsere moderne Konsumwelt erst möglich macht.“
Speichern ist Silber, Teilen ist Gold.Logistikprofessor Michael ten Hompel über die Transportsysteme der Zukunft, die Notwendigkeit eines unternehmensübergreifenden Datenaustauschs – und kluge Regale als Gesprächspartner
Die Kernfrage lautet deshalb, wie die Branche ihren Auftrag nicht nur möglichst schnell, sondern darüber hinaus auch möglichst ressourcenschonend erledigen kann. Leicht fällt das nicht. Denn die Anforderungen an die Logistiker steigen gewaltig. Lag das globale Frachtvolumen 2010 noch bei 70.894 Billionen Tonnenkilometern, wird es sich nach Prognosen der OECD bis zum Jahr 2050 mehr als vervierfachen.
Just in time soll alles verfügbar sein, auf Produzentenseite sowieso, aber auch für die Konsumenten selbst. Denn wer mit seinem Smartphone always online ist und auf Shopping-Tour geht, wann und wo es ihm gefällt, erwartet auch everything now.
Noch sind Drohnen im Transport-Business Science-Fiction. Doch schon 33 Prozent der Bundesbürger fänden es prima, wenn ihre Pakete sie künftig per Luftpost erreichen würden.
„Sofortness“ heißt das Zauberwort für diese neue, maschinell getriebene Ungeduld. Immer effizienter und flexibler sollen Spediteure, Kurierdienste, See- und Luftfrachtunternehmen ihre Geschäfte erledigen, damit im Handumdrehen alles verfügbar ist – eben sofort. Am besten möglichst lautlos und auf jeden Fall ohne lästige Verzögerungen.
Doch wie können die Logistiker diese Mammutaufgabe bewältigen? Welche Lösungsansätze liefert die Digitalisierung? Wie sollen die LKW in den staugeplagten Metropolen überhaupt noch durchkommen? Was lässt sich auf der berühmten letzten Meile verbessern, damit die Warensendungen den Empfänger auch schon beim ersten Zustellversuch erreichen? Und schließlich: Wie lassen sich alle diese Prozesse so nachhaltig gestalten, dass nicht noch mehr Emissionen die Umwelt belasten?
Fragen, die in München regelmäßig für reichlich Gesprächsstoff sorgen – auf der weltweit führenden Messe für Logistik, Mobilität, IT und Supply Chain. „Wir bringen hier alle maßgeblichen Akteure der Logistikindustrie zusammen, damit sie ihre Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft präsentieren können“, sagt Stefan Rummel, Geschäftsführer der Messe München und unter anderem für die Transport Logistic verantwortlich.
Wir sind ein äußerst wichtiger Impulsgeber für eine Branche, die mit knapp 260 Milliarden Euro Umsatz nach Automobilwirtschaft und Handel den drittgrößten Wirtschaftsbereich unseres Landes repräsentiert.Stefan Rummel, Messe München
Jedes Unternehmen, das in der Logistikwelt Rang und Namen hat, ist seit Jahren auf der Messe vertreten, darunter natürlich auch die Deutsche-Bahn-Tochter DB Schenker, mit 75.800 Beschäftigten in mehr als 130 Ländern einer der ganz Großen in der Branche.
Und mit einem Mann an der Spitze, der offenbar sehr genau weiß, was die Stunde geschlagen hat. Seit seinem Amtsantritt im Herbst 2015 predigt er seinen Kollegen, dass nichts, was einmal groß war, auf Dauer auch so bleiben muss. Denn warum sollte die disruptive Kraft der Digitalisierung, die gerade ganze Wirtschaftszweige auf den Kopf stellt, ausgerechnet das Transportgewerbe verschonen? „Es vergeht keine Vorstandssitzung, wo wir das Thema nicht auf der Agenda haben und prüfen: Wo sind die Gefahren, wo gibt es neue Möglichkeiten“, sagt er.
Möglichkeiten gibt es viele, und einige davon haben die Schenker-Manager auch schon ergriffen. Bereits Anfang 2017 investierten sie rund 24 Millionen Euro in die Frachtbörse UShip mit Sitz in den USA – eine Art Uber-Plattform für das Speditionsgewerbe. Dort werden Transportaufträge über mobile Endgeräte versteigert und jeder Kunde erhält volle Transparenz über Kapazitäten und Preise. In schon mehr als 19 Ländern sind die Amerikaner mit diesem Geschäftsmodell erfolgreich, bislang allerdings fast ausschließlich im Privatkundengeschäft.
Mit dem Einstieg von DB Schenker könnte sich das sehr bald ändern. Denn die Bahn-Tochter setzt auf ihrer firmeneigenen Plattform „Drive4Schenker“mittlerweile ebenfalls auf UShip-Technik. Die rund 30.000 Partner im europäischen Netzwerk können so in Echtzeit erkennen, wo es auf ihren Strecken noch zusätzliche Ladung gibt und ihre Kapazitäten besser ausschöpfen. „Das wird unser Transport-Management schneller, einfacher und effizienter machen und uns helfen, als Marktführer im europäischen Landverkehr noch größere Frachtvolumen zu bewältigen, sagt Thewes.
Und das ist keineswegs die einzige Digitalisierungsoffensive, die in der Branche gerade für mächtig Bewegung sorgt. Kühne + Nagel (KN) hat unter dem Namen „FreightNet“ bereits 2014 eine voll digitalisierte Plattformlösung für das Transportgewerbe gestartet, zunächst für die Buchung und Sendungsverfolgung von Luft- und Seefrachtsendungen inzwischen auch für den Landverkehr.
Lufthansa Cargo vermarktet unter dem Titel „td.Basic“ ein besonders kostengünstiges, ausschließlich elektronisch zu buchendes Angebot im Massengütergeschäft. Und DB Schenker selbst kooperiert mit dem LKW-Hersteller MAN bei der Entwicklung voll vernetzter Truck-Kolonnen, die den Verkehrsfluss auf den Autobahnen schon sehr bald revolutionieren könnten.
Platooning nennen Fachleute diese neue Technologie, die es ermöglicht, dass mehrere LKW in sehr geringem Abstand über die Straßen rollen können, verbunden durch elektronische Deichseln und Car-to-Car-Kommunikation. Der erste Truck gibt Tempo und Richtung vor, die anderen folgen in seinem Windschatten, ohne dass der Mensch noch eingreifen muss – außer in Notfallsituationen oder wenn er vom System explizit dazu aufgefordert wird.
Alle LKW-Hersteller haben mittlerweile ähnliche Pilotprojekte am Laufen, neben MAN auch Daimler, Volvo, Scania, DAF und Iveco. Denn das Platooning birgt enorme Vorteile. „Wir versprechen uns davon eine Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs um bis zu zehn Prozent, weniger CO2-Emissionen, eine weit bessere Auslastung der Straßeninfrastruktur und letztlich auch mehr Verkehrssicherheit“, sagt DB-Schenker-Chef Thewes.
Doch damit der voll vernetzte und im zweiten Schritt vielleicht sogar selbstfahrende Truck nicht nur testweise, sondern wie selbstverständlich zum Einsatz kommen kann, braucht es neue Regeln. Zwar hat der Bundestag schon im März 2017 eine Änderung des Straßenverkehrsgesetzes verabschiedet, nach der ein Berieb von Kraftfahrzeugen mit hoch- oder vollautomatisierter Fahrfunktion grundsätzlich erlaubt ist, aber ganz wesentliche Fragen sind bis heute ungeklärt.
Wie soll der Algorithmus entscheiden, was in brenzligen Situationen richtig oder falsch ist, wenn der Autopilot das Steuer erst einmal ganz übernommen hat? Setzt er den Wagen dann lieber gegen die Wand und nimmt den Tod der Insassen in Kauf oder überfährt er stattdessen einen Fußgänger?
Politische Rahmenbedingungen beeinflussen das Geschäft der Logistiker stark – nicht immer zu ihrem Vorteil, vor allem im Flugverkehr nicht. Gemessen an der Gesamttonnage, werden hierzulande zwar nur zwei Prozent aller Überseeexporte via Luftfracht abgewickelt. Aber berechnet nach dem Warenwert sieht die Lage schon ganz anders aus. Danach verlassen bereits 30 Prozent der exportierten Güter und Waren Deutschland auf dem Luftweg.
Überall dort, wo es richtig schnell gehen muss, führt am Flugzeug kein Weg vorbei. Etwa bei einem Ersatzteil aus deutscher Maschinenbauproduktion, das aufgrund eines unvorhersehbaren Betriebsausfalls binnen kürzester Zeit im fernen Ausland benötigt wird. Nur fliegen die Maschinen nicht immer so schnell los, wie es sich die Beteiligten wünschen würden.
Wir sind einfach nicht mehr wettbewerbsfähig, und zwar durch Regularien, die wir uns selber gegeben haben.Lufthansa-Cargo-Chef Peter Gerber
Gemessen an der Warenmenge, verlassen zwar nur zwei Prozent aller Übersee-Exporte Deutschland auf dem Luftweg. Aber gemessen am Warenwert, sind es 30 Prozent. Gut 80.000 Euro kostet der Lufttransport pro Tonne.
In Frankfurt, München und Düsseldorf, den drei wichtigsten deutschen Drehkreuzen im internationalen Passagier- und Frachtverkehr, sind die Betriebszeiten in der Nacht weitgehend beschränkt. Weil lärmgeplagte Anwohner darauf pochen, dass es doch sowieso kaum einen Unterschied mache, ob die Güter nun nachts um drei oder erst morgens um sechs den Flughafen verlassen. Schließlich, so ihre Argumentation, löse sich die Fracht dadurch ja nicht in Luft auf.
Das stimmt, aber für die Airport-Betreiber stellt sich die Frage ganz anders. Denn ein gesperrter Flughafen streut nicht nur Sand ins Getriebe der immer komplexer ineinander verzahnten Logistikketten. Er lässt sich auch genauso problemlos umfliegen wie ein lästiges Unwettergebiet. Wenn die Rahmenbedingungen in Frankfurt, München oder Düsseldorf nicht passen, geht die Fracht per LKW ganz einfach nach Amsterdam oder Paris, wo die Maschinen im 24-Stunden-Betrieb starten und landen dürfen.
Wer es eilig hat, findet schnell eine Alternative, nicht nur im Ausland, sondern auch im Inland. Die Manager des Handels- und Logistikdienstleisters Hermes haben deshalb schon vor Jahren entscheiden, den Flughafen Leipzig/Halle neben Frankfurt zur zentralen Luftfracht-Drehscheibe für ihr Unternehmen zu machen.
Der ehemals eher unbedeutende Airport im Osten Deutschlands wickelt dank Nachtflugerlaubnis bereits heute ein Fracht- und Postaufkommen von 1,2 Millionen Tonnen jährlich ab – zehnmal so viel wie noch 2007. Damit rangiert Leipzig hinter Frankfurt nun auf Platz zwei im deutschen Luftfrachtgeschäft, selbst wenn an der Mainmetropole auch künftig kein Weg vorbeiführen dürfte. Die Hälfte der Versandgüter, die etwa die Lufthansa durch die Welt schickt, wird als sogenannte Belly-Fracht in den Laderäumen der Passagiermaschinen transportiert. Und die starten und landen nun mal überwiegend in Frankfurt.
Ein Transportschiff mit 19.000 Containern hat eine Gütermenge an Bord, die ausreicht, um mehr als 9.500 Lastwagen mit einem Ladevolumen von jeweils 40 Tonnen zu füllen. Das entspricht einem LKW-Konvoi von 950 Kilometer Länge.
Mit einem strategischen Nachteil ganz anderer Art hatten jahrelang auch die Manager der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) zu kämpfen. Denn die Elbe ist einfach zu flach für die Containerriesen der neuesten Generation.
Ewig haben Gegner und Befürworter über die geplante Fahrrinnenvertiefung gestritten. Erst jetzt beginnen die Ausbaggerungsarbeiten – 16 Jahre, nachdem Hamburg beim Bundesverkehrsministerium den entsprechenden Antrag dafür gestellt hat. So können künftig auch Frachter mit einem Tiefgang von bis zu 14,50 Metern die Terminals unabhängig von Ebbe und Flut anlaufen und müssen nicht wie in der Vergangenheit auf die Häfen in Rotterdam oder Antwerpen ausweichen.
Erleichtert stellt Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher fest: „Die Fahrrinnenanpassung der Elbe wird unseren Hafen international wettbewerbsfähiger machen und den Containerumschlag in Hamburg fördern.“ Tschentschers Optimismus kommt nicht von ungefähr. Denn mit ihrer sehr guten Hinterland-Anbindung, einer hohen Abfertigungsqualität und dem Einsatz modernster Technik haben die Hamburger Hafenmanager auch schon in der Vergangenheit bewiesen, dass sie in der Branche ganz weit vorne mitspielen.
Große Unterstützung erfahren sie dabei von den Spezialisten des IT-Dienstleisters Dakosy. Nicht umsonst rühmen Kunden das „Port Community System“ des Unternehmens gerne als das „Gehirn des Hafens“, weil über diese Plattform alle miteinander vernetzt sind: Spediteure, Reedereien, Linienagenten und Zollbehörden. „Über unsere Systeme lassen sich die kompletten Angaben zum Transport erfassen und prüfen“, sagt Dakosy-Vorstand Ulrich Wrage.
Erst dieser lückenlose, voll digitalisierte Datenfluss schafft jene Transparenz, die es braucht, um einen Hafen von der Dimension Hamburgs am Laufen zu halten.Ulrich Wrage, Dakosy
Die Lademanifeste, früher telefonbuchdicke Papierkonvolute, sind heute in Computerdateien zusammengefasst – für jeden Beteiligten einzusehen und Schritt für Schritt verfolgbar. So wissen die Verantwortlichen immer, wo ein Container gerade steht und welcher Arbeitsvorgang beim Im- oder Export als nächster folgen muss.
Nahtlos fügt sich diese Datenbank in die IT-Systeme zur Verkehrssteuerung im Hafengelände und auf der Elbe ein und macht den Standort Hamburg zu dem, was er heute ist: ein Umschlagsplatz für Güter im Gesamtgewicht von gut 135 Millionen Tonnen jährlich – mehr als doppelt mal so viel wie noch 1990.
Bis zu 8.000 LKW steuern täglich die Piers in Hamburg an, um Container zu bringen oder abzuholen. Eine Lastwagen-Lawine von gigantischem Ausmaß, die das begrenzte Hafenareal ohne ein paar kluge Dirigenten im Hintergrund hoffnungslos verstopfen würde. Um die bestehende Infrastruktur effizienter zu nutzen, versorgt eine in Kooperation mit SAP und der Telekom entwickelte Softwarelösung namens „smartPort logistics“ (SPL) heute alle Akteure mit passgenauen Informationen.
Etwa über Wartezeiten an den Verladeterminals, Baustellen, Staus, Brückenöffnungszeiten und freie Parkplätze – alles abrufbar über die Telematikeinheiten in den Fahrzeugen, Smartphones und Tablets. Ein System, von dem letztlich jeder profitiert: der LKW-Fahrer, der ohne Umwege sein Ziel erreicht, der Disponent, der mehr Ware auf den Weg bringt, und auch der Verkehrsmanager im Hafen, der den Transportfluss noch zielgenauer analysieren und planen kann.
Dieses Beispiel zeigt sehr eindringlich: Ohne ausgefeilte Technologie und unternehmensübergreifenden Datenaustausch läuft in der modernen Welt der Logistik nichts mehr, weder in der Hafenwirtschaft noch auf der Straße oder in der Luft. So setzt auch der Frankfurter Flughafen mittlerweile auf ein Community-System unter dem Titel „FAIR@Link“, dass die bereits heute standardisierten Datenflüsse zwischen den Unternehmen weiter verbessern soll, ebenfalls entwickelt vom IT-Spezialisten Dakosy.
Mich erinnert die aktuelle Lage stark an die Situation vor 15 Jahren, als der Internethype begann.Michael ten Hompel, Logistikexperte
„Ein grundlegendes Verständnis für Informationstechnologien und deren Programmierung ist heute so wichtig wie Lesen und Schreiben“, sagt Logistikprofessor Michael ten Hompel. „In einer Welt, in der jedes Geschäftsmodell mit Software zu tun hat, werden digitale Analphabeten Entscheidungen nicht mehr allein und verantwortungsvoll treffen können. Wer davon nichts versteht, der beherrscht den wichtigsten Rohstoff der digitalen Revolution nicht.“
Die Zielgerade hat ten Hompel dabei schon sehr genau vor Augen. Es ist das Internet der Dinge, das die Branche in den nächsten Jahren radikal verändern wird. Ist die Welt der Geräte erst einmal in Gänze etabliert, bleibt nichts mehr, wie es einmal war. Cyberphysische Systeme werden dann quasi selbstständig agieren: mit autonomen Fahrzeugen, die durch die Lagerhallen steuern, und intelligenten Kisten, die dank Kameras und Sensoren untereinander kommunizieren und ihren Weg zum Bestimmungsort fast von alleine finden. „Das alles steht bereits in den Startlöchern. Allenfalls die Denkverbote in den Köpfen der Entscheider bremsen das Unvermeidliche noch aus“, sagt ten Hompel. „In jedem Fall ist die Technologie bereits vorhanden, um diese vierte industrielle Revolution zu starten.“
Die ist auch bitter nötig. Bis 2025 erwarten die Experten der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), dass sich der Online-Anteil am gesamten Einzelhandelsumsatz nahezu verdoppeln wird – auf dann 15 Prozent. Das bedeutet: noch mehr Arbeit für die Kurier-, Express- und Paketdienste, die sich gerade einen regelrechten Wettlauf um die berühmte letzte Meile liefern. Mit traditionellen Lieferfahrzeugen, aber auch mit Lastenfahrrädern wie aus Opas Zeiten, um in den staugeplagten Metropolen überhaupt noch durchzukommen. Nach Next- und Same-Day-Delivery versprechen die Anbieter nun schon einen Zustellservice innerhalb von lediglich 60 Minuten. Und es sind keineswegs nur die etablierten Unternehmen, die gerade mächtig Gas geben.
Amazon, der größte Online-Händler der Welt, ist mittlerweile selbst ins Zustellgeschäft eingestiegen. Denn mit Online-Kauf und Liefern aus einer Hand rückt das Unternehmen jetzt noch näher an seine Kunden und lernt täglich dazu.
Besteller bevorzugt zu Hause? Welche Klingel ist die richtige? Und wo in der Nachbarschaft kann der Bote die Ware abliefern, wenn trotzdem mal keiner öffnet?
Jeder, der im Internet bestellt, kennt das Problem: Schuhe, Heimwerkerartikel und Kleidung sind per Mausklick schnell geordert, aber die Sendung lässt auf sich warten. Erfolgreich bleibt auf Dauer deshalb nur jener E-Commerce-Anbieter, der „neue Wege findet, seine Produkte zügig, zuverlässig und kosteneffizient zum Kunden zu bringen“, sagt Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Digitalverbandes Bitkom.
Je ausgefeilter die Logistik, desto größer wird auch der Anteil online bestellter Waren.Bernhard Rohleder, Bitkom
Kampflos freilich geben sich die etablierten Lieferdienste nicht geschlagen. Zwar wickelt Amazon nach wie vor einen Großteil seiner Logistik in Deutschland über DHL, DPD oder Hermes ab, aber wer weiß, ob das auch auf Dauer so bleiben wird? Hermes jedenfalls hat auf den Vorstoß der Amerikaner schon einmal reagiert. Nach dem testweisen Einsatz von Paketzustellungen durch Roboterfahrzeuge in Hamburg haben die Manager ihre Minderheitsbeteiligung an dem Same-Day-Delivery-Spezialisten Liefery, einem Frankfurter Start-up, zwischenzeitlich auf einen Mehrheitsanteil erhöht.
Co-Gründer von Liefery ist Franz-Joseph Miller, ein Mann, der sich mit ultraschnellen Lieferzeiten bestens auskennt. Für Lufthansa Cargo baute er in der Vergangenheit bereits den Eilfrachtexperten time:matters auf. Ein Unternehmen, das sich auf die internationale Notfall- und Ersatzteillogistik spezialisiert hat. „The speed you need“ ist kein leerer Firmenslogan, sondern ein Versprechen, das dem Unternehmen seit Jahren überdurchschnittliche Wachstumsraten beschert. Umsatz 2018: 121,5 Millionen Euro, nochmals 12,5 Prozent mehr als schon im Rekordjahr 2017.
Diesen Erfolg wollen Unternehmen wie Liefery jetzt auch auf das Endkundengeschäft übertragen. Denn in einer Welt, in der alles für jeden möglichst sofort verfügbar sein soll, wird auf Dauer nur jener Anbieter die Nase vorn haben, der die beste Logistikleistung bieten kann. Das wissen alle in der Branche. Die Frage lautet bloß noch, ob es nach der Warenzustellung binnen eines Tages oder innerhalb von nur einer Stunde überhaupt noch eine Steigerung geben kann.
Und es sieht beinahe so aus, als wäre selbst das kein Ding der Unmöglichkeit mehr. „Anticipatory Shipping“, der vorausschauende Versand. So nennt sich ein Verfahren, das Amazon-Chef Jeff Bezos bereits vor Jahren zum Patent angemeldet hat. Die Idee dahinter: Noch bevor der Kunde überhaupt auf den Button „Kaufen“ klickt, soll die für ihn passende Ware schon auf dem Weg zu ihm sein. Weil Amazon dank Big Data, der Auswertung früherer Bestellungen, dem Umtauschverhalten seiner Kunden und den Wunschzetteln auf der Website schon weiß, was Menschen wollen, noch bevor sie es überhaupt bestellen. Fragt sich nur, ob das am Ende auch wirklich alle Kunden schätzen.
Von Stefan Schmortte. Der Artikel erschien erstmalig im Messe München Magazin 01/2017.
Ihr Webbrowser ist leider veraltet. Er kann die hier vorgesehenen Informationen nicht korrekt darstellen da er nicht kompatibel mit aktuellen Webstandards ist.