Von der Körperertüchtigung bis zur mitdenkenden Laufschuhsohle: Kaum ein Gesellschaftsphänomen hat sich so stark entwickelt wie der Sport – und unsere moderne Welt mit seinen Entwicklungen geprägt.
Noch wirken sie exotisch wie die ersten Mountainbikes und Snowboards Anfang der 1980er-Jahre. Noch sorgt es für Aufsehen, wenn auf einem leeren Parkplatz ein Skater mit einem elektrisch angetriebenen Board auftaucht. Oder auf dem Starnberger See ein Surfer mit Elektromotor seine Kurven zieht: ganz ohne Welle, ganz ohne Wind. Während die bayerische Firma Waterwolf mit ihren E-Surfbrettern derzeit noch eine Nische bedient, hat der E-Skateboard-Marktführer Evolve bereits 5.000 Bretter in Europa verkauft: bis zu 47 Stundenkilometer schnell und teilweise sogar geländegängig. Für den Straßenverkehr fehlt noch die Erlaubnis – vermutlich nur eine Frage der Zeit. Es scheint, als sei der Sport der Gesellschaft wieder mal voraus.
Der Sport ist längst mehr als ein Freizeitvergnügen. Er ist ein Gradmesser für gesellschaftliche Veränderungen – und für wirtschaftliche Innovation. Das gilt mehr als je zuvor. Im Sport testet der Mensch seine Grenzen aus. Und die verschieben sich. Skateboards haben sich zu Elektrofahrzeugen entwickelt, im Ausdauersegment sind zum Marathon, der einst als harte Disziplin galt, Ultra- und Wüstenläufe über 100 Kilometer dazugekommen. Die Sportbranche profitiert – und wird so zum Vorreiter für neue Technologien. Ob intelligente Textilien, Elektromobilität oder Digitalisierung: Innovative Trends werden in der Sportbranche in einer – zunächst noch – spitzen, einkommensstarken Zielgruppe erprobt und zum Modell für die Massen…
Fitness und Gesundheitsbewusstsein sind wichtiger denn je. Einst vielfach mit proletarischem Beigeschmack behaftet, steht körperliche Aktivität heute für Erfolg und Leistungsfähigkeit. Während Winston Churchill einst „No sports!“ postulierte, posiert Kanadas Premier Justin Trudeau beim Laufen. Und Heiko Maas tritt als Triathlet in der Wahlkampfphase an, um Durchhaltevermögen zu beweisen. Auch im Management sind die barocken Herren, die Wohlstand und Autorität ausstrahlten, als Prototyp verschwunden. Der moderne Manager läuft Marathon.
Auch der Sport selbst hat seinen Charakter verändert. Von der Leibesertüchtigung, die in den Nachkriegsjahren noch Züge militärischen Drills enthielt, über den Fun-Faktor der hedonistischen 1980er und 1990er bis heute: bis zur persönlichen Sinnsuche im Extremen. Menschen gehen an ihre psychischen und physischen Grenzen – selbst als Hobbysportler. Die Marathons, einst eine Disziplin weniger Ausdauerspezialisten, vermelden steigende Teilnehmerzahlen in jedem Alter: Die Veranstalter des Münchner Marathons rechnen 2018 mit 20.000 Läufern. Auch die höchsten Berge gehören nun allen. Während sie früher Größen wie Hans Kammerlander oder Reinhold Messner vorbehalten waren, kann sie heute nahezu jeder besteigen. Spezielle Tourenanbieter machen es möglich: Einmal auf den Kilimandscharo, den Mount McKinley, den Ararat? Machbar, selbst für Blinde. Rund 400 Bergsteiger erklimmen pro Jahr den Mount Everest. Eine Lizenz zum Besiegen des höchsten Berges der Welt ist für 9.000 Euro zu haben.
Ein extremes Beispiel. Doch wer den Kampf mit sich selbst aufnehmen will, muss nicht nach Nepal reisen. Der moderne Mann zwischen 40 und 50, so scheint es, hat in der Regel eine Triathlon-Langdistanz auf der To-do-Liste. An die eigene Grenze gehen, einen persönlichen Sieg erringen: eine ganz andere Auffassung von Sport als in den 1970ern, in denen sich die Deutschen mit einem Trimm-dich-Pfad und Skigymnastik mit Rosi Mittermaier und Christian Neureuther am TV zufriedengaben.
Während die Arbeit in den vergangenen Jahrzehnten immer körperloser wurde, wurde der Körper zum wertvollen Kapital: Fit bleiben allein reicht nicht, Leistungssteigerung ist Programm. Es begann mit Joggen, mit Fitnessstudios und Aerobic. Heute ist Selbstoptimierung die Währung, und auch die innere Haltung dabei zählt. Ob Sinnsuche oder Gamification, Umweltbewusstsein oder Mobilität, Individualisierung oder Eventkultur: Die gesellschaftlichen Trends mögen widersprüchlich sein. Doch sie alle fördern das Interesse an Sport – und der Sport bestärkt die Trends.
Die Elektromobilität ist dabei nur ein Beispiel: Während auf deutschen Straßen die Elektromobilität in den Kinderschuhen steckt, ist der Sport weiter. Neben dem E-Bike-Boom – allein 2017 wurden in Deutschland 720.000 davon verkauft – gewinnt das Thema auf der spielerisch-sportlichen Ebene ständig an Bedeutung. Es gibt inzwischen allein in Deutschland drei Hersteller für E-Surfboards, mit denen man per Propellermotor oder Turbine über einen See steuern kann. Ein Unternehmen stellte auf der Ispo 2018 ein SUP-Board (Stand-Up-Paddling) nicht nur mit Elektromotor vor: Ausgestattet mit einer Photovoltaikanlage, bietet es völlige Autonomie. Ebenso auf der Messe: Dutzende von E-Scootern, das kletterfreudige Allterrain-E-Einrad Onewheel, das in der Presse bereits als „neuester Schrei aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ (bergwelten.com) gefeiert wurde, und zahlreiche Stände von E-Skateboard-Herstellern. „Seit wir 2012 hier angetreten sind, sind bestimmt 30 Mitbewerber aufgetaucht“, sagt Evolve Geschäftsführer Jens Haffke.
Der Sport hat sich ausdifferenziert. Es gibt den Spitzensport, der irrsinnige Marktwerte und Sponsorenverträge schafft. Und es gibt den Extremsport, der immer neue Rekorde sucht und Geschichten erzählt. Wie die des Spaniers Kilian Jornet, Sohn eines Bergführers in den Pyrenäen und Star der Ultraläuferszene. Dreimal gewann er den Ultramarathon Ultra-Trail du Mont-Blanc mit 168 Kilometern und 9.000 Höhenmetern, bevor er 2017 den Mount Everest bestieg. Am 20. Mai startete er um 22 Uhr Ortszeit im klassischen Basislager in der Nähe des historischen Rongpu-Klosters, um 26 Stunden später, um Mitternacht, den Gipfel des höchsten Bergs der Erde auf 8.848 Metern zu erreichen – ohne zusätzlichen Sauerstoff oder Fixseile.
Oder der Südafrikaner Mike Horn, der die Welt mit Gleitschirm, Drachen, Segelboot, Kajak, auf Skiern und den eigenen Beinen am Polarkreis umrundete. Tragisch die Geschichte des Slowenen Jure Robic, der fünfmal beim 4.800 Kilometer langen Race Across America siegte – und dann bei einer Trainingsausfahrt ums Leben kam.
Auf der anderen Seite gibt es den Breitensport, der das Bedürfnis nach Individualität und Unabhängigkeit ebenso bedient wie die uralte Sehnsucht nach Gemeinschaft. Wir machen Sport, wann und wo wir wollen – und zwar jeden Sport. So lautet der Slogan des bayerischen E-Surfbrett-Start-ups Waterwolf: „Make your own wave – mach dir deine Welle selbst.“ Die Technik macht es möglich.
Das Gemeinschaftserlebnis, etwa bei den Mannschaftssportarten, stellt immer noch das wichtigste Argument für den Breitensport dar. 2017 waren 23,79 Millionen Deutsche Mitglied in einem Sportverein. Das sind nicht nur fast 30 Prozent aller Deutschen, sondern auch über eine halbe Million mehr als 1999. Thomas Alkemeyer, Sportsoziologe an der Uni Oldenburg, sieht jedoch in Individualsport und Gemeinschaftssport „keine Konkurrenzmodelle“. „Die Individualität ist zweifellos ein Merkmal unserer modernen Zeit“, sagt er, bemerkt jedoch starke Unterschiede zwischen Stadt und Land. „Die Individualisierung findet vor allem in den Städten statt.“ Aber auch wenn auf dem Dorf der Fußballverein neben der freiwilligen Feuerwehr immer noch das wichtigste Bindeglied darstellt: Die Menschen leben immer mehr in Städten.
Die Individualität ist zweifellos ein Merkmal unserer modernen Zeit.Thomas Alkmeyer, Sportsoziologe
Zeitgleich besteht ein starkes Bedürfnis nach sportlichem Ausgleich zum Job. Die Folge: Sportarten, die vorher eher in der Natur verortet waren, entwickeln sich zu urbanen Varianten. Städtische Kanäle werden zum Kajak- und SUP-Fahren genützt, Hallen zum Klettern, Parkplätze zum E-Skateboarden. Sogar Skifahren: Auch wenn Skihallen in Deutschland mit sechs Standorten noch dünn gesät sind – in den flachen Niederlanden gibt es bereits rund 50. So genannte Indoor-Slopes, die aus einem laufenden Endlosteppichband bestehen, kommen komplett ohne Schnee aus und haben Platz auf 70 Quadratmetern.
Aber solch eine Technologie ist analog und fast schon überholt. Auffälliger war auf der Ispo 2018 vor allem, dass Sportartikel von Jahr zu Jahr smarter werden: Sie ermöglichen optimalen Körpereinsatz, reduzieren die Verletzungsgefahr und machen so die körperliche Aktivität effizienter. „Weareable & Devices“ heißt das: elektronische Hilfen, die den Sportler unterstützen. 61 Prozent aller Sportlich-Aktiven besitzen laut Ispo-Studie Sports Evolution 2017 solch ein Gerät – und sogar 47 Prozent der Sportlich-Nichtaktiven. Mit der technischen Unterstützung von Smartwatch und Fitnesstracker werden Freizeitsportler selbst zu Experten. Die präzise Messung und Überwachung der eigenen Performance liefert perfekte Trainingspläne. Ermittelt, wann neue Reize nötig sind und wann eine Regeneration. Bewegungsabläufe werden optimiert – wie etwa beim Golfschläger mit Sensoren. Auf diese Weise kann jeder seine körperliche Leistung spielend verbessern.
2016 wurden weltweit über 150 Millionen solcher digitaler Trainingshelfer verkauft. Die Pulsuhr – seit 35 Jahren auf dem Markt – ist da noch der alltäglichste. Sie bietet jedoch inzwischen neben der Herzfrequenz noch zahlreiche Gimmicks und kommt ohne lästigen Brustgurt aus.
Die Labore des Sports haben schon immer auf eine Optimierung der körperlichen Leistung gezielt und Technologien erprobt, die woanders noch in der Schublade blieben.Thomas Alkmeyer, Sportsoziologe
Die intelligente Schuhsohle des französischen Herstellers Digitsole kann – je nach Sportart – interessante Daten über die Performance liefern: Schrittzahl, Kalorienverbrauch und zurückgelegte Distanz für den Läufer, Effizienz und Fahrstil für den Rennradfahrer. Alle Daten kommen per Bluetooth aufs Endgerät, dank Thermostat gibt es individuell gesteuerte Schuhheizung obendrein.
Auch indoor ist dank Digitalisierung viel passiert. Kettler, mit rund 145 Millionen Euro Jahresumsatz alles andere als ein Startup, macht den Ergometer zum virtuellen Erlebnis. Während sich früher das Vergnügen auf den eher klobigen, mahlenden Geräten in Grenzen hielt, stehen die heutigen Indoorbikes der „Racer“-Serie den Modellen auf der Straße in nichts mehr nach. Sie sind praktisch lautlos. Und die hauseigene App „KettMaps“ führt den Fahrer auf dem Tablet über den Pyrenäen-Rundkurs oder die legendären L’Alpe-d’Huez-Etappe. Der Sportler kann selbsterlebte und gefilmte Strecken hochladen und sich mit anderen messen. Selbstredend, dass es diese Möglichkeit auch für Laufband und Rudermaschine gibt.
Man braucht nicht mal einen Ergometer: Die „Zwift“-Software ist bei Radsportlern sehr begehrt. Auf dem smarten Rollentrainer kann man mit einem Trittfrequenz- oder einem Geschwindigkeitssensor zu jeder Tages- und Nachtzeit virtuell mit Freunden Rennen fahren. Gamification im Leistungssport. Die Sportbranche saugt auf, was es an aktuellen Impulsen gibt. Das ist im Grunde genommen nichts Neues. Der Stollenschuh etwa gilt bis heute als der heimliche Star des „Wunders von Bern“: Damit brachte Adi Dassler vor bald 70 Jahren die Deutsche Nationalelf zum Sieg. Auch im Bereich Funktionskleidung setzte die Sportindustrie in Sachen Innovation Trends mit Membran-Materialien. Der Hintergrund war der Bedarf: Alltagstextilien haben gut auszusehen und eine lange Lebensdauer aufzuweisen. Beim Sport dagegen sorgt die Kombination aus Schwitzen und kalten Außentemperaturen für weitaus höhere Anforderungen.
Sportsoziologe Alkemeyer geht noch einen Schritt weiter. „Die Labore des Sports haben schon immer auf eine Optimierung der körperlichen Leistung gezielt und Technologien erprobt, die woanders noch in der Schublade blieben.“ Andererseits lebten wir in einem „Zeitalter atemberaubender Innovation“: „Die Entwicklungszyklen werden immer kürzer“, so der Forscher, „darum fällt das vermutlich mehr auf.“
Eine Spielwiese also: Möglicherweise kann sich im Sport bewähren, was in anderen Lebensbereichen noch Tests durchlaufen und Bedenken überwinden muss. Wie eben bei der Elektromobilität: „Unsere Kunden holen sich das Ding als Sportgerät und stellen fest: Das ist ein prima Fortbewegungsmittel. Bei einem zwei Tonnen schweren Fahrzeug, das ein Vielfaches kostet, ist das schwieriger nachzuvollziehen“, sagt Evolve-Geschäftsführer Haffke.
Bislang ist das E-Skateboard auf deutschen Straßen verboten – es existiert noch keine Versicherungsklasse dafür. Dabei gibt es schließlich den klaren Regierungsauftrag, die Elektromobilität zu fördern. Der Bundesrat forderte bereits 2016 die Bundesregierung auf, hier eine gesetzliche Grundlage zu schaffen. Haffke ist sich sicher: „Das wird legal, wahrscheinlich mit einer Höchstgeschwindigkeit von 25 Stundenkilometern. Die wollen die Leute ja nicht kriminalisieren.“ Spielerisch könnte so die Elektromobilität mit Kleingeräten im deutschen Straßenverkehr Einzug halten.
Auch wenn in den Metropolen immer noch Autos und nicht E-Skateboards fahren: Sportlich spielen die Bretter bereits seit einigen Jahren eine Rolle – als Wettkampfdisziplin. Seit 2014 wird in Haßloch (Rheinland-Pfalz) die jährliche „Dirt Track“-Meisterschaft ausgetragen, es gibt sogar einen Weltcup.
Einmal mehr wird aus einer Sportartikel-Neuheit eine komplett neue Sportart. So wie das Mountainbike, das in den 1980ern aus den USA nach Deutschland kam: Seit 1996 ist es sogar olympische Disziplin. Genauso das Snowboard, das von heutigen Skipisten nicht mehr wegzudenken ist. Oder relativ neu das SUP. Das aufblasbare SUPBoard, das sich luftleer problemlos im Auto transportieren lässt, hat dem sperrigen Windsurfboard etliche Fans abgenommen.
Die Frage ist, was Sportarten populär macht. Oft sind es Einzelsportler. Beim Rennradfahren, das bereits vor Jan Ullrichs Tour-de-France-Sieg 1997 populär war, hat der Trend auch den Absturz des Stars überdauert. Wenngleich er sich im Breitensport weiterentwickelt: Es gibt Cyclocross-Räder und Gravel Bikes – die den früheren Querfeldeinrädern in etwa entsprechen. Auch hier spielt Technologie eine große Rolle. Schalt- und Bremssysteme werden immer leichter und präziser, Carbon hat Aluminium längst im Rahmenbau abgelöst.
Allerdings muss sich eine Sportart bewähren – nicht alle Trends erweisen sich als langfristig. Longboards etwa, mit der die Coolness der Skater den Mainstream eroberte: nach rund zwei Jahren wieder verschwunden. Rollerblades, die vor wenigen Jahren noch als Massenphänomen galten und regelmäßig bei „Blade Nights“ mit Tausenden Fahrern ganze Städte lahmlegten: abgelegt in der Mottenkiste. Dennoch sind es die Großstädte, in denen sich Trends entfalten. Derzeit macht sich Stand-Up-Paddling – bislang nur auf Seen und Flüssen zu Hause – in Paris, Berlin oder Hamburg breit: In Berlin kann man mit einem Leihboard die Spree entlang paddeln, es gibt etliche Verleihstationen bis zum Wannsee. Und mit dem „Nautic SUP Cross Paris“ veranstaltet man in der Hauptstadt Frankreichs jedes Jahr im Dezember das größte internationale SUP-Rennen mit rund 600 Teilnehmern.
Manche Trends kommen auch gut ohne Helden und neue Geräte aus. Pilates und Yoga zum Beispiel: Längst haben sie die Fitnessbewegungen der 1980er Jahre – Aerobic und Bodybuilding – abgelöst. Softe, gelenkschonende und gesunde Sportarten sind gefragt, nicht hartes, effektorientiertes Training. Techniken aus der Sportphysiotherapie wandern in die Fitnesskurse ein. Beispiel: Faszientraining. Neben dem Gesundheitsaspekt gewinnen die Themen Ernährungsoptimierung und Achtsamkeit an Bedeutung.
Nicht zuletzt auch, weil Sport immer mehr zur Philosophie erwachsen ist, in der neben der körperlichen Fitness und dem Spaß eine gewisse Haltung dazugehört. Sportsoziologe Alkemeyer klassifiziert hier zwei Lager: Im einen zielt Sport stark auf Außenwirkung, es geht es um einen gut vorzeigbaren Körper. „Im anderen geht es eher um die Innenwirkung, hier zählt das Thema Achtsamkeit mehr.“ Er beschränkt diese Erscheinung auf ein „urbanes Milieu der Bildungsschichten, wo hoher Wert auf körperliche Aktivität und Gesundheit gelegt wird“.
Yoga, vor 20 Jahren eher mit Skepsis als „Meditationsform von indischen Gurus“ betrachtet, stellt heute ein wichtiges Entspannungsmodell in den Großstädten dar. Längst nicht mehr nur Frauendomäne, auch Weltklassefußballer nutzen Yoga für ihre Beweglichkeit. Es hat inzwischen Ergänzungsartikel hervorgebracht, mit denen Anwender es in ihre Lebenswelt integrieren können: Das Yogaboard vom Hersteller Strobel & Walter etwa unterstützt durch gewollte Instabilität die Tiefenmuskulatur. Hergestellt in Würzburg aus regionaler Buche, der Preis: stolze 369 Euro.
Beim Yoga geht es um Körperbeherrschung, um Achtsamkeit. Die Soziologen sprechen von der Innenwirkung des Körpers.
Intensität, Bewusstsein, Achtsamkeit - die Ansprüche ändern sich, mit ganz unterschiedlichen Ausprägungen: vom reduzierten Yoga bis zur Extremerfahrung eines Ultralaufs. Und auch die Nachhaltigkeit ist dabei zu einem nicht unwichtigen Kaufargument geworden. Das gilt vor allem für die Anforderungen an Material und Ausrüstung, insbesondere im hochwertigen, teuren Segment. Gerade Hersteller von Outdoor-Bekleidung betonen ihre soziale und ökologische Verantwortung, weil sie dort Nachfrage sehen. Bei Hightech-Fasern ist die Entwicklung in puncto Gewichtsersparnis und Atmungsaktivität zum Teil ausgereizt. Wolle dagegen wird als Naturgarn wiederentdeckt. Kleine Produzenten in Entwicklungsprojekten werden bei der Herstellung unterstützt.
Auch die Impulse für deutsche Schlüsselindustrien sind gewaltig: Garne für Bekleidung müssen gesponnen und gewebt werden, Schuhe brauchen Sohlen – und dafür benötigt man Maschinen. Der Maschinenbauer Desma zum Beispiel steht für Industrie 4.0: Computergesteuerte, vollautomatisierte Besohlungsmaschinen erzeugen geräusch- und emissionsarm in zahlreichen Ländern Sportschuhe. Und sollen, so das Ziel des Unternehmens, individuelle Wünsche bei Größe, Form und Farbe, die der Kunde per Smartphone schickt, zeitnah umsetzen. Die Erfahrung gibt dem niedersächsischen Unternehmen Recht: Allein 2015 verkaufte Desma 428 Spritzgießmaschinen im Wert von rund 80 Millionen Euro. Finanziell hat sich am allermeisten bei den Akteuren geändert. Während Franz Beckenbauer in seinen ersten Jahren als Vertragsfußballer 400 Mark im Monat bekam und Gerd Müller beim Karrierestart noch halbtags bei einem Möbelhändler arbeitete, verdient Cristiano Ronaldo pro Jahr 21 Millionen Euro. Die WM-Preisgelder haben sich seit 2002 mit 330 Millionen Euro mehr als verdoppelt. Die Fifa wiederum holt sich dies bei den Übertragungsrechten wieder: Allein ARD und ZDF sollen 2018 für die Übertragungsrechte der WM 218 Millionen Euro bezahlen.
Die Sportartikelhersteller verdienen am Breiten- wie am Spitzensport mit: Allein Nike erwirtschaftete 2016 einen Umsatz von über 30 Milliarden Euro. Die Konsumenten werden dabei anspruchsvoller, sie erwarten schnellere Entwicklung, passgenaue Anpassung. In der „Speedfactory“ von Adidas werden im fränkischen Ansbach seit kurzem im 3D-DruckVerfahren Sportschuhe hergestellt – ein Konzept, das auf der Ispo auf großes Interesse stieß.
Bislang vergingen 18 Monate vom ersten Entwurf, bis ein Schuh im Laden stand. Künftig soll sich dieser Zyklus auf wenige Stunden verkürzen: Das Design kann der Kunde zu Hause am Computer gestalten. Weg fallen der wochenlange Schiffstransport und die ökologische Belastung durch diese lange Reise. Gleichzeitig verspricht die digitale Umstellung neue Jobs in Deutschland: zwar keine für Näherinnen und Schuhmacher, dafür für IT-Spezialisten und im Kundenservice. Auch Konkurrent Nike investiert in computergestütztes Design und 3D-Modellierung.
Und die Händler? Wer sich nicht auf die Digitalisierung einstellt, wird verlieren. Wer aber, so die Prognosen, mehr individuellen Kundenservice und ein besonderes Einkaufserlebnis durch Virtual Reality bietet, wird im stationären Handel gewinnen. Dort wird bereits mit interaktiven Umkleidekabinen experimentiert. Denn beileibe nicht jeder Sportler bestellt seine Laufschuhe online, sondern viele schätzen die Kompetenz des Personals am Point of Sales. Denn darum geht es letztlich immer noch: dass der Schuh beim Marathon nicht drückt – und man zeigen kann, was in einem steckt. Mit Blasen an den Füßen läuft es sich auch mit dem besten Material nicht gut.
Von Klaus Mergel. Der Artikel erschien erstmalig im Messe München Magazin 01/2018.
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